„Patienten lassen sich nicht nur in Covid-19 und gesund einteilen“ – laut Dr. med. Borchard bleiben Hausarzttermine auch in Zeiten der Pandemie lebenswichtig. Videosprechstunden sind eine mögliche Alternative zum Praxisbesuch.
Wir alle haben angesichts der aktuellen Pandemie die Pflicht, uns und andere zu schützen sowie soziale Distanz zu wahren. Gleichwohl es gibt Leben und Krankheiten jenseits von COVID-19. Viele Münsteraner meiden jedoch derzeit ärztliche Sprechstunden, Untersuchungen oder Behandlungen. Wir haben mit Dr. med. Carsten Borchard, Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin aus Münster, über die aktuelle Situation gesprochen und nachgefragt, wie die hausärztliche Versorgung weiterhin sichergestellt werden kann.
Dr. med. Carsten Borchard im Interview
Führt die aktuelle Corona Pandemie dazu, dass die Münsteraner weniger zu ihrem Hausarzt gehen?
Ja, die meisten hausärztlichen Praxen in Münster sind derzeit sehr schwach besucht. Viele Patienten mit gesundheitlichen Problemen, chronischen Erkrankungen oder auch akuten Symptomen meiden einen Arztbesuch oder zögern ihn zumindest hinaus. Leider führt das zu einer Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustands und häufig zu ernsten Komplikationen.
Viele Menschen haben Angst, sich in einer Arztpraxis mit COVID-19 anzustecken. Welche Folgen hat das?
Thrombosen oder Venenentzündungen warten nicht, chronische Krankheiten müssen weiterhin beobachtet und medizinische Behandlungen fortgeführt werden. Auch Vorsorgeuntersuchungen sind nach wie vor wichtig und werden mit jeder Verzögerung lebenswichtiger. Mit anderen Worten: Arztbesuche sind nach wie vor das A und O in der Gesundheitsversorgung. Die Corona Pandemie darf nicht zu einem Versorgungsstopp bei der hausärztlichen Betreuung führen. Zumal wir derzeit nicht einschätzen können, wie lange diese Ausnahmesituation noch anhält.
Sind Videosprechstunden eine Alternative zum Praxisbesuch?
Das Digitale bahnt sich wie überall seinen Weg. Das Telefon spielte in der hausärztlichen Versorgung schon immer eine Rolle. Eine Videosprechstunde kann mehr, der Arzt kann den Patienten sehen und so dessen Gesundheitszustand besser einschätzen. Beispielsweise kann der Arzt leicht den Heilungsprozess einer Wunde begutachten und die weitere Behandlung am Bildschirm erläutern. Oder es kann geklärt werden, ob eine weitere Untersuchung in der Arztpraxis erforderlich ist oder verschoben werden kann. Die Videosprechstunde ersetzt nicht immer den Praxisbesuch, sie ist aber eine gute Ergänzung.
Für welche Patienten ist die Videosprechstunde geeignet?
Gerade für die COVID-19 Risikogruppen ist die Videosprechstunde interessant, aber auch für alle anderen Patienten, die sich nicht direkt in die Praxis begeben möchten. Bisher waren Videosprechstunden eher etwas für jüngere, technikaffine Patientinnen und Patienten oder Personen mit stark reduzierter Mobilität. Wir können aufgrund der aktuellen Situation eine verstärkte Nachfrage verzeichnen. Die technische Hemmschwelle sinkt, insbesondere durch die verstärkte Verbreitung von Smartphones. Es gibt bereits Sprechstunden-Apps, die sicher und nutzerfreundlich sind. Manche Apps enthalten neben der Terminfunktion auch einen Medikationsplan. Das ist sehr praktisch.
Wie sieht so ein digitaler Arztbesuch aus? Was muss ich als Patient tun?
Als Erstes erfolgt die Kontaktaufnahme seitens des Patienten, in der Regel per Telefon, mit dem Wunsch nach einer Videosprechstunde. Der Patient benötigt entweder ein Smartphone oder einen PC / Laptop mit Kamera, Mikrofon und Lautsprecher sowie eine Internetverbindung. Der Arzt erstellt einen individuellen Zugangscode und versendet diesen per SMS oder E-Mail an den Patienten. Zum vereinbarten Termin loggt der Patient sich mit seinem Zugangscode auf der Webseite oder per App ein. Darauf treffen sich Arzt und Patient in der virtuellen Praxis und können direkt mit der Videosprechstunde starten.
Zwischen Arzt und Patient besteht meist ein besonderes Vertrauensverhältnis. Wie sicher sind solche virtuellen Praxisbesuche und wer übernimmt eigentlich die Kosten?
Das Gespräch findet in einer geschützten Umgebung statt. Auch die Prinzipien der ärztlichen Schweigepflicht bleiben weiter bestehen. Die Sprechstunden finden über einen speziell für Arzttermine zertifizierten Videodienstanbieter statt. Dieser Anbieter muss gewährleisten, dass die Videosprechstunde während der Übertragung Ende-zu-Ende verschlüsselt und werbefrei ist. Die Videosprechstunde muss vertraulich und störungsfrei verlaufen. Sie darf nicht aufgezeichnet werden, auch nicht vom Patienten. Setzt der Arzt ein zertifiziertes System ein, welches von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zugelassen wurde, werden die Kosten ganz normal über die Krankenkasse abgerechnet. Dem Patienten entstehen keine zusätzlichen Kosten.
Das scheint ja recht einfach und praktisch zu sein. Bleibt Ihre Praxis in Münster-Kinderhaus nun geschlossen?
Nein, das geht natürlich nicht. Einerseits bin ich für Telefon- und Videosprechstunden in der Praxis da und andererseits sind persönliche Sprechstunden weiterhin unentbehrlich. Nicht alles kann per Videosprechstunde untersucht und behandelt werden. Die Versorgung unserer chronisch kranken Patienten und auch die Behandlung von Akutfällen muss weiterhin in der Praxis sichergestellt werden. Aufgrund der aktuellen Ausnahmesituation haben wir den normalen Sprechstundenbetrieb umstrukturiert. Alle Patienten müssen sich telefonisch anmelden und werden nur einzeln in die Praxis gelassen. In der Praxis sind Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel ausreichend vorhanden, die bereits hohen gesetzlichen Hygienestandards für die Flächendesinfektion wurden intern noch einmal verschärft. Wichtig ist, dass sich die Münsteraner weiterhin an Ihren Hausarzt wenden. Gemeinsam finden wir passende Lösungen, ohne die Gesundheit der Patienten aufs Spiel zu setzten.
Wichtiger Hinweis: Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise. Die Informationen können das Gespräch mit Ihrem Arzt nicht ersetzen. Bitte suchen Sie bei Beschwerden unbedingt einen Arzt auf!